Pressemitteilung: Kein „Klimaschutz durch Naturzerstörung“ – Artenschutz und Biologische Vielfalt werden in Hessen immer mehr für den Windindustrieausbau geopfert

PM der NATURSCHUTZINITIATIVE e.V. (NI) vom 21.10.2016

​Der bisherige Schutzstatus für die in Hessen stark vom Aussterben bedrohten Arten Mopsfledermaus und Große Bartfledermaus wurde aktuell durch die grüne Umweltministerin Priska Hinz mit einem Erlass ausgehebelt.

Hintergrund ist der in der Planung befindliche Regionalplan Südhessen, Teilplan „Erneuerbare Energien“.

Bisher gilt für Windkraftanlagen-Genehmigungen eine 5 km Sperrzone, die diese beiden Fledermausarten im Hinblick auf das Tötungsverbot (§ 44 BNatSchG) schützen sollen. Nun wurde diese Sperrzone auf einen 1 km-Radius um die Wochenstuben (Aufzuchtstätten der Fledermäuse) reduziert.

Dieser fachlich und artenschutzrechtlich völlig unbegründete Erlass dient lediglich dem Zweck, der politisch vereinbarten Vorgabe, 2% der hessischen Landesfläche für Windvorrangflächen in der Regionalplanung „Erneuerbare Energien“, Vorschub zu leisten.

„Um nicht noch weiter in die ideologisch motivierte Ausbaufalle zu geraten, muss es jedoch umgekehrt sein: Der Natur- und Landschaftsschutz müssen die mögliche Fläche bestimmen. Denn der Klimaschutz ist Teil des Naturschutzes und nicht dessen Voraussetzung“, betonte Harry Neumann, Landesvorsitzender der Naturschutzinitiative e.V. (NI).

„Die gesetzliche Verpflichtung zum Natur- und Artenschutz und die Berücksichtigung fachlicher Vorgaben kann nicht allein aus dem temporärem politischen Willen einer Landesregierung heraus aufgegeben werden“, betonte Konstantin Müller, Dipl. Biologe und Vorstand der NI.

Dabei heißt es im Naturschutzleitfaden des Umweltministeriums, dass beide Fledermausarten sich in einem „sehr ungünstigen Erhaltungszustand“ befinden und aufgrund ihres Flugverhaltens einem hohen Kollisionsrisiko ausgesetzt sind. Windkraft-Investoren müssen geplante Windenergieanlagen-Standorte regelmäßig auf die ökologischen Begleitumstände hin prüfen. Dazu gehören auch die tatsächlichen Raumnutzungen bzw. Lebensräume der dort ansässigen Fledermäuse. So nutzen zum Beispiel Mopsfledermäuse mehrere (Quadrat‑)Kilometer umfassende Lebensräume. Auch für die Große Bartfledermaus sind Habitatgrößen von mehreren Tausend Hektar nachgewiesen.

Für Fledermäuse ist in den Lebensräumen generell ein sehr hohes Quartierangebot erforderlich, weil zwischen den Quartieren ein regelmäßiger Wechsel stattfindet. Daraus ist es leicht abzuleiten, dass eine 1 km-Radius Sperrzone um bekannte Wochenstuben als viel zu klein und somit als unwirksam anzusehen ist.

Nicht nur die Windkraftbetreiber müssen den natur- und artenschutzrechtlichen Ansprüchen Genüge tun, sondern auch die Landesregierungen bei der Erarbeitung eines Regionalplanes. So ließ das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung im Dezember 2015 einen Bericht zur Großen Bartfledermaus in Bezug auf Windkraftanlagen erstellen. In diesem heißt es, dass auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung „Waldflächen ausgeschlossen werden, die sich im Aktionsraum der Art (5 km-Puffer um bekannte Wochenstubenkolonien)“ befinden. Eine teilweise Abweichung von diesem Radius nach unten gilt jedoch nur für „wenig attraktive Offenlandhabitate (z.B. Ackerflächen, gehölzfreie Fettwiesen) innerhalb des 5 km-Schutzpuffers, sofern diese nicht in einer ansonsten von Waldrändern oder Gehölzstreifen geprägten Landschaft liegen“.

„So ist immer noch das Vorsorgeprinzip bei FFH Arten zu beachten, das auf dem Grundsatz beruht, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen. Die FFH-Richtlinie orientiert sich mit dem Verschlechterungsverbot und der Naturverträglichkeitsprüfung an diesem Prinzip“, betonte Dip.-Biologin Dr. Christine Thiel-Bender, Naturschutzreferentin der NI.

Dies bedeutet, dass der Erlass der Umweltministerin einer fachlichen Untersuchung generell vorweg greift. Durch ihn wird nun geregelt, Lebensräume von Fledermäusen nicht in ihrem vollen Umfang zu untersuchen, somit auch nicht das Tötungsrisiko. Dabei beruht die 5 km-Tabuzone auf der umfangreichen wissenschaftlichen Studie des Instituts für Tierökologie und Naturbildung, welches in 2012 für das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung selbst ein Gutachten zu dem Thema schrieb.

Dort heißt es:

„Aufgrund des Flugverhaltens im offenen Luftraum bis Baumkronenniveau und darüber ist für die Art eine Kollisionsgefährdung anzunehmen. Gemäß des schlechten Erhaltungszustandes und ihrer Seltenheit in Hessen werden um die Wochenstubenkolonien Tabuzonen empfohlen (Radius von 5 km). Dies sollte zumindest so lange angestrebt werden, bis die Schlaggefährdung eindeutig geklärt ist. Das Konfliktpotential für direkte Wochenstubenverluste ist im Wald gegeben.“

Zudem wird dort auch beschrieben, dass aufgrund der extremen Größe der Einzugsgebiete zu Massen-Winterquartieren „aus Vorsorgegründen im Umfeld von 5 km keine Windenergieanlagen errichtet werden (Tabuzonen)“ sollen. Gegenteilige Aussagen finden sich seither in keiner weiteren wissenschaftlichen Studie, obwohl der Wissensstand angestiegen ist.

Ergänzt wird dies durch eine weitere Konkretisierung der Schutzanforderungen für die Mopsfledermaus aus dem Jahr 2014 durch dasselbe Institut. Darin wird ebenso in Hinblick auf Störungen an dem Schutzradius von 5 km festgehalten. Es  wird darauf hingewiesen, dass nach umfassenden Raumnutzungsuntersuchungen sogar noch größere Schutzbereiche erforderlich werden können.

„Dem Artenschutz wurde zwar auch bisher in der Realität des Windkraftausbaus in den Wäldern meistens nur auf dem Papier Bedeutung beigemessen, eine Kontrolle fand so gut wie nicht statt. Die hessische Landesregierung ist jedoch gerade dabei, jegliches Vertrauen im Naturschutz zu verlieren, denn nun soll der Artenschutz auch noch erlassmäßig zur Bedeutungslosigkeit verkommen.

Denn auch die kürzlich geschaffene sogenannte „Clearingstelle“ ist ein weiteres erschreckendes Beispiel, dass kein Vertrauen in rechtsstaatliches Verhalten fördert.

Wir fordern daher die hessische Landesregierung auf, den im Juni vom Umweltministerium herausgegebenen Erlass zur Verringerung der Schutzzone der Mopsfledermaus und der Bartfledermaus umgehend zurückzuziehen. Der christdemokratische Ministerpräsident Volker Bouffier ist nunmehr in der Verantwortung, seine grüne Umweltministerin umgehend zur Vernunft zu bringen“, forderte Harry Neumann, Landesvorsitzender der NATURSCHUTZINITIATIVE (NI) e.V.

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